Jürgen Herrmann November 2024
Mit besonderem Dank an Dr. Sebastian Parzer für seine Recherchen in div. Archiven!
Laut Adressbuch der Stadt Mannheim gab es um 1910 in Mannheim zahlreiche Zigaretten-Fabriken. Diese waren Manufakturbetriebe mit vielleicht maximal 50 Mitarbeitern und wenig oder gar keinem Maschineneinsatz. Es gab Zigaretten versch. Qualitäten, bessere wurden mit einem Mundstück geraucht.
Die „Cigarretten- & Tabak-Manufaktur „Ophyr“ Emil Burger“ wurde 1906 von Emil A. Burger in S 1,5 begründet.1 Die Zigarretten der Fabrik wurden bald nicht nur in der Kurpfalz verkauft. Denn als es 1908 zu einem Ladendiebstahl in einem Karlsruher Tabakgeschäft kam, wurde dabei auch Ophyr-Zigarretten entwendet.16
Ganzseitige Anzeige in "A bis Z" von 1909
Wer mit welchen Überlegungen den Namen wählte ist nicht bekannt. Das Land Ophir oder auch Ofir ist ein sagenhaftes Goldland in der Hebräischen Bibel (Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Ophir ). Vielleicht sollten mit dem Namen die besonders hohen Qualitäten der Ophyr-Zigaretten assoziiert werden.
Der Zeitpunkt der Gründung der Cigarettenfabrik Ophyr als GmbH ist noch nicht recherchiert. Nicht zu verwechseln ist die beschriebene Mannheimer Firma mit Ophir S.A. in Alexandria/Ägypten.
1912 wurde der Betrieb von Oskar Reik übernommen,2 der ihn nach S 1,12 verlegte.17 Heute (2024) ist dort "Multi-Kulti" und „Gluckerstübl”.
Ansichtskarte – Mannheim S 1,12 – Ansicht heute
Reik gab den Betrieb im Juli 1917 an den aus Marburg stammenden Kaufmann Wilhelm Niderehe (1879-1943) ab.3
Bei seiner Werbung innerhalb der Tabakindustrie setzte Niderehe offensichtlich auf die Anziehungskraft des europäischen Hochadels. 1911 hatte er sich den Namen „Elisabeth von Hessen“ für seine Marburger Firma als Markenzeichen schützen lassen.4 Die Adelige war Schwester der letzten russischen Zarin und durch ihre Eheschließung mit einem Großfürsten selbst Mitglied der russischen Zarenfamilie geworden. In Mannheim vertrieb Niderehe mit Genehmigung des badischen Landesherren Produkte unter den Namen „Großherzog von Baden“.5
Stehende Dose Rückseite – Flache Dose mit Kopf – Flache Dose ohne Kopf – Flache Dose Innenseite
Die Marke "Großherzog von Baden“ ist prägend für die Kaiserzeit. Es gibt Dosen ohne Kopf, die vielleicht für den Export z.B. in die Schweiz hergestellt wurden. Dort waren Adlige eher nicht angesagt. Der mit Samt ausgeschlagene Musterkoffer stammt wahrscheinlich aus dieser Zeit. Auch ein Holzrahmen mit kleinen Farbresten, vielleicht für einen Spiegel, paßt in diese Zeit.
Muster-Koffer – Holzbilderrahmen
Die Mannheimer Firma führte Niderehe zunächst unter dem Namen „Cigaretten- und Tabakfabrik Ophyr Oskar Reik Nachf. Johann W. Niderehe“ fort. Er verlegte den Sitz des Unternehmens in die Quadratestadt offensichtlich 1918 nach Q 6,10 in das sogenannte Derblinsche Haus.18
Briefkopf Mannheim
Briefkopf Q 6,10
Schließlich zog er im gleichen Jahr selbst nach Mannheim.7 Dort erwarb er im Mai 1920 für 700.000 Mark das Fabrikanwesen der ehemaligen Badischen Brauerei in der Käfertaler Straße8 und verlegte seine Produktion dahin.
Niderehe kannte sicher die sog. Tabakmoschee in Dresden, dem Zentrum der deutschen Zigaretten-Produktion. Diese war 1907 als Zigaretten-Fabrik Yenidze im Stil einer Moschee erbaut worden, u.a. mit Kuppeln und türkisen Fliesen (https://de.wikipedia.org/wiki/Yenidze). Die dortige Firma warb damals deutschlandweit mit der Silhouette des Gebäudes.10 Es gibt eine zeichnerische Vision auf Pergaminpapier und einen Briefkopf, der die Brauereigebäude in Mannheim umgestaltet oder in idealisierter Weise darstellt - im orientalischem Stil mit Kuppeln und Halbmonden. Niderehe hatte evtl. ein Pendant zur Dresdner Tabakmoschee im Südwesten Deutschlands vor Augen. Das Vorhaben in Mannheim kam allerdings über den ersten Planungsstand nicht hinaus.11
Ophyr-Vision gesamt
Ophyr-Vision Sudhaus – Ophyr-Vision "Turm" Mälzereigebäude
Briefkopf
Seinerzeit war der Orient als Werbe-Klischee in Mode. Der Tabakanbau dort wie auch die arabische Sprache, Islam-Religion und Kultur des Morgenlands waren Anreger für die Phantasie der Cigaretten-Käufer und -Genießer. Die Bewohner des Abendlands empfanden die arabische Lautsprache, die Riten der "Mohammedaner" und den Sultan im Luxus und mit uneinsehbarem Harem als geheimnisvoll, was eben gut war für Träume und Phantasien. Nikotin und Zigarettenrauch wurden damit per Markenbildung und Werbung verknüpft.
Das unternehmerische Engagements Wilhelm Niderehes in der Tabakbranche blieb nicht auf die ehem. Großherzogtümer Hessen und Baden begrenzt. 1919 war er Eigentümer der beiden Zigarettenfabriken „Mustafa Pascha Lauterbach & Co“ und „Silano“ im schlesischen Breslau, deren Sitze er in diesem Jahr nach Mannheim verlegte.12 Eine Überlieferung in der Familie berichtet, dass ihn Geschäftsreisen für den Verkauf bis nach Ostpreußen geführt hätten.1921 wurde Niderehe zudem Geschäftsführer der „Zigarettenfabrik Romania Schmilovici GmbH“ in Karlsruhe, die ihren Sitz im Juni 1921 nach Mannheim in das Anwesen Q 6,10 verlegte.19
Die von ihm produzierten Stumpen vertrieb er in den ersten Jahren der Weimarer Republik unter dem Akronym „Winima“ (Wilhelm Niderehe, Mannheim), einer damals beliebten Werbeform (so wurde die Süßwarenfabrik „Haribo“ 1920 von Hans Riegel in Bonn gegründet).
Winima-Stumpen
Nach Ende des Ersten Weltkriegs und dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreichs erkannte Niderehe, dass der Adel als Werbeträger nicht mehr geeignet war. Mit Beginn der Weimarer Republik entfaltete sich eine neue Freiheit. Der Kaiser war „weg”. Berliner Nachtleben, Frauen mit Kurzhaarschnitten und neue Werbeideen wurden wichtig und interessant.
Der Unternehmer Wilhelm Niderehe suchte wahrscheinlich auch nach neuen Wegen für Ophyr. Offensichtlich wurde der damals am Beginn seiner beruflichen Laufbahn stehende Grafiker Hartmuth Pfeil (1893–1962) aus Darmstadt sein Partner in Sachen Werbegrafik. Das von ihm gestaltete Signet in Form einer liegenden Raute diente modern ausgedrückt der „Logobildung“ zwecks Wiedererkennung der Ophyr-Produkte und damit der Verkaufsförderung. 1921 ließ Niderehe ein (bildliches) Markenzeichen eintragen.9
Liegende Raute von Hartmuth Pfeil
Das Signet kann wie folgt beschrieben werden: Ein Mann mit Bart in orientalischer Tracht mit Turban sitzt mit islamisch-türkisem Gewand im Zentrum der Raute und wiegt O und M in seinen Händen. O für Ophyr und M für Mannheim gelangen in das Gedächtnis des Betrachters. Drei Minarette könnten als Ausrufezeichen assoziiert werden. Der tief dunkelblaue Grund wirkt fast wie die Farbe des nächtlichen Himmels. Die Komplementärfarbe zu blau ist orange und gibt den Rahmen, auf dem Pfeil in einer eigens entwickelten Schrift die zentralen Worte Ophyr, Mannheim, Cigaretten und Fabrik schwarz stark kontrastiert. In der Schrift auffallend: A-Querstriche und E-Mittelstriche sind kleine Dreiecke, die die Form der Minarett-Spitzen aufnehmen. Im Eisenblech-Schild ist die Schrift eingeprägt und führt durch die dritte Dimension zu einer die Wichtigkeit der Worte unterstreichenden Wirkung.
In Hartmuth Pfeil - „Werke aus fünf Jahrzehnten“ findet sich nichts zu Ophyr, aber die beschriebene Schrift ist auf Seite 355 bei der Phantasie(?)-Marke Sonor verwendet. --- Quelle: Keil, Heinrich (Hrsg.): Hartmuth Pfeil - Werke aus fünf Jahrzehnten, Erschienen in der Reihe »Hessische Beiträge zur deutschen Literatur«, herausgegeben von der Gesellschaft Hessischer Literaturfreunde e.V. 1987, Darmstadt (Roetherdruck), 384 Seiten mit umfangreichen Bildteil, Großformat (21x30cm), kartoniert, ISBN: 3792901579 --- Pfeil schuf neben aussagekräftigen Grafiken für Firmen eine Fülle von Charakterköpfen und -figuren als zum Teil farbige Zeichnungen. Er war ein begnadeter Zeichner.
Grafische Werke von Hartmuth Pfeil sind meist mit den Buchstaben "PFEIL" oder "PF" versehen. Die Buchstaben sind immer aus der Vertikalen leicht nach rechts oder links abwechselnd gedreht,
Das Rauten-Signet knüpft an den schon in der Tabak-Moschee erkennbaren orientalischen Stil an. Nach der Kaiserzeit gilt weiter: Mit Tabak aus der Türkei läßt sich leicht der Mythos Orient in der Phantasie anregen: Der Sultan lebt mit seinem Harem im Luxus und genießt das Leben.
Im Belegschaftsbild von der Ophyr- Weihnachtsfeier 1921 wird das Logo vielfach gezeigt, wahrscheinlich als "neue und moderne" Errungenschaft, mit der sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter identfizieren können und sollen. Beachtlich ist die Zahl der 85 Mitarbeiter. Wilhelm Niderehe ist wohl der Mann rechts vorne, der als einziger etwas mehr Abstand zu seinen Nachbarn hat als alle anderen.
Ophyr-Weihnachtsfeier 1921 – Quelle: MARCHIVUM AB02010-001
In den 1920er Jahren warb Niderehe zudem überregional für die von ihm produzierten Zigaretten. So ließ er 1921, 1922 und 1923 Anzeigen in der illustrierten Zeitschrift „Die Woche“ erscheinen, bevorzugt auf dem farbigen Karton-Papier der Umschlagseiten.20 Diese Wochenzeitschrift war wohl im gehobenen Bürgertum verbreitet, wo Ophyr-Cigaretten den „vornehmen Mann“ antreffen konnten. Werbung anderer Zigaretten-Marken in der Woche sind noch nicht erkundet.
Die Raute wurde auch auf Briefköpfen und Couverts verwendet: siehe auch oben in der Ophyr-Vision
Couvert-Vorderseite – Couvert-Rückseite mit flächendeckender Werbung
Ein seltenes Pappschild kombiniert Minarett und eine rauchende Zigarette. Da das so an einer Moschee nicht sein kann, erregt der „kognitive Konflikt” die werbetechnisch erwünschte Aufmerksamkeit. In der Zusammenschau mit einem der beiden Werbe-Aschenbecher ist zwar nicht der Vollzug der Zigarettenablage auf dem Minarett wohl aber die Aschen- und Filterablage am Porzellan-Minarett möglich.
Das Pappschild wie auch der Aschenbecher werden hier nur aus historischen Gründen gezeigt. Die Kombination von Minarett und Zigarette könnte heute die religiösen Gefühle von streng Islam-Gläubigen beeinträchtigen. Eine solche Absicht besteht heute nicht und bestand früher sicher auch nicht. Um 1920 gab es in Deutschland sehr wenige Islam-Gläubige, die mit den Objekten hätten konfrontiert werden können.
Die Aschenbecher wurden in der Rheinschen Porzellanfabrik in Mannheim-Käfertal hergestellt.
Interessant erscheint der Mantelumschlag einer Speisekarte. Waren in Berlin Inhaber großer Tabak- und Zigaretten-Fachgeschäfte als gute Kunden eingeladen? Wie in einer Show hebt sich der Bühnenvorhang mit den reduzierten Rauten. Auf der Bühne befindet sich edler Hummer, so wie Ophyr-Zigaretten für die „bessere Gesellschaft”? Was und wo es zu speisen gab, ist leider unbekannt.
Vorderseite – Speisekartenmantel – Rückseite
Eine ganzseitige Anzeige im Mannheimer Adressbuch von 1921 erhebt dank seiner Größe und der sicher damit verbundenen Kosten einen Anspruch auf wirtschaftliche Bedeutung.
Verschiedene Marken mit Namen und Ausgestaltungen sind überliefert.
Mekka mit der Orient-Assoziation ist vielleicht die älteste der Marken mit dem neuen Logo. Es wird hier wie auch an anderen Stellen oft ohne die Rautenkanten verwendet. Gestaltet wird mit stilisierten Tabakblüten und brauner Farbe des Tabaks. Das Logo wird noch nicht auf dem Deckel verwendet, sondern nur auf der Seite außen, dem Deckel innen und der Unterseite der Verpackung.
SUN RISE in einer Schachtel mit wattiertem Deckel erhebt mit der Fremdsprache evtl. internationalen Anspruch. Die Farben der Repubik schwarz-rot-gold deuten klar in die Weimarer Republik.
SUN RISE Schachtel
RHEA REID ist der Name einer Rosen-Zuchtsorte, kann aber auch im Zusammenhang mit einem Künstlernamen gesehen werden. Soll die Grafik an eine Blüte erinnern? Hieran wird noch gearbeitet. Auch hier: Die Farben der Repubik schwarz-rot-gold deuten klar in die Weimarer Republik.
RHEA REID Schachtel
Lombardi ist noch zu klären.
Gazelle ist zuverlässig mündlich belegt, aber ohne Foto. Vielleicht als "Damen-Cigarette" gedacht.
Ende der 1920er Jahre wurde auch die Fabrik von Wilhelm Niderehe von der Weltwirtschaftskrise erfasst. Im Sommer 1931 beantragte er bei der Aufsichtsbehörde, seinen Betrieb der damals noch 20 Personen beschäftigte, 17 Arbeiter und drei Kontoristen, einstellen zu dürfen.14
In der Nazizeit waren die Aussichten schlecht: Es gab wohl keine Importe mehr von Virginia-Tabak aus USA.
Wilhelm Niderehe hatte keine männliche Nachkommen. Er verstarb 1943 21 und die Tabakverarbeitung wurde mit seinem Tod endgültig aufgegeben. Die Firmen „Wilhelm Niderehe“ und „Ophyr“ wurden aber erst 1954 im Handelsregister des Mannheimer Amtsgerichts gelöscht.15
Anmerkungen:
1 Karlsruher Zeitung, 24. September 1906 (Auszug aus dem Handelsregister).
2 Karlsruher Zeitung, 18. November 1912 (Auszug aus dem Handelsregister).
3 Karlsruher Zeitung, 23. Juli 1917 (Auszug aus dem Handelsregister).
4 Warenzeichenblatt 1911, S. 474.
5 Briefkopf der Firm in: Generallandesarchiv Karlsruhe 276-2, Mannheim ÌI, Nr. 33730.
7 Vgl. Mannheimer Adressbuch 1918, S. ???
8 Generallandesarchiv Karlsruhe 276-2, Mannheim ÌI, Nr. 33730.
9 Warenzeichenblatt 1919, S. ?? (gab es online, finde es aber nicht mehr!!)
10 So Export-Woche 1912, Nr. 6, Beilage zu: Die Woche 1912, Nr. 6 vom Februar 1912.
11 Pläne im Archiv Jürgen Hermanns, Weinheim
12 Karlsruher Zeitung, 3. November 1919 (Auszug aus dem Handelsregister).
13 Vgl. Die Woche 1922, S. 646 und 676,
14 GLA KA,
15 Mannheimer Morgen, 30. Januar 1954 (Auszug aus dem Handelsregister).
Nachträgliche Ergänzungen:
16 Badischer Beobachter, 13. Januar 1909; Badische Presse, 13 Januar 1909.
17 Vgl. Mannheimer Adreß-Buch 1913, S. 1499. Der Unternehmensgründer Adolf Burger betrieb in S 1, 5 anschließend die „Erste Mannheimer Tabak-Manufaktur“ (vgl. ebenda, S. 1500).
18 Vgl. Mannheimer Adressbuch 1919, S. 424 und S. 891. Der Kaufmann Ludwig von Derblin, Besitzer einer Tapetenfabrik, blieb Eigentümer des Anwesens. Er wohnte selbst in dem Gebäude und seine Firma betrieb dort auch ein Lager (vgl. ebenda, S. 54).
19 Mannheimer General-Anzeiger, 6. Juni 1921 – Abend-Ausgabe (Auszug aus dem Handelsregister). Das Unternehmen wurde im Sommer 1923 aufgelöst (Mannheimer General-Anzeiger, 31. August 1923 – Abend-Ausgabe [Auszug aus dem Handelsregister])
20 Vgl. Die Woche 1921, Nr. 51 (Umschlagseite [vollständiges Exemplar im Besitz von Jürgen Herrmann), 1923, S. 84., S. 140 und S. 162.
21 Hakenkreuzbanner – Haupausgabe, 27. Juli 1943; Neue Mannheimer Zeitung, 27.Juli 1943 (Todesanzeigen) sowie Neue Mannheimer Zeitung, 4. August 1943 (Danksagung).